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veröffentlicht am 20.07.2023

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen als oberstes Ziel

Erweitertes Führungszeugnis bei Erwerb oder Verlängerung von Sportjugend-Lizenzen

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen als oberstes Ziel

Landessportbund und Sportjugend Hessen setzen Stufenmodell zur Prävention sexueller Gewalt um

(13.07.23) Vereinssport tut Kindern und Jugendlichen gut. Er fördert ihre körperliche und kognitive Entwicklung, ihr Wohlbefinden und ihre Fitness. Er macht sie weniger anfällig für Krankheiten und er wirkt Stress entgegen. Er vermittelt soziale Kompetenzen, Fairness und Selbstbewusstsein. Ziemlich lange ließe sich diese Liste fortsetzen. Doch was, wenn im Sportverein Dinge passieren, die Kindern oder Jugendlichen schaden? Was, wenn das Undenkbare passiert, das, was den Grundsätzen jedes Vereins entgegensteht? Wenn Kinder und Jugendliche dort Grenzüberschreitungen, gar Gewalt oder sexuelle Belästigung erleben? 
Es ist wohl das Schlimmste, was Kindern und Jugendlichen passieren kann. Und was Vereinen passieren kann. Deshalb setzen sich der Landessportbund Hessen e.V. (lsb h) und die Sportjugend Hessen (SJH) seit Jahren dafür ein, den Schutz vor psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt in ihren Strukturen sicherzustellen. Weniger theoretisch klingt das bei Isabelle Schikora, die bei der Sportjugend den Bereich „Junges Engagement und Kindeswohl im Sport“ leitet: „Wir wollen alles dafür tun, dass Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene im Sportverein sicher sind. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema darf kein Tabu sein und nicht als Pauschalverdacht verstanden werden. Vielmehr ist es unser Ziel, dass Kinderrechte in allen hessischen Vereinen gelebt werden, dass es Schutzkonzepte gibt und junge Sportler*innen sowie Eltern wissen, an wen sie sich wenden können, sollte ihnen etwas komisch vorkommen.“ 
Schon lange bevor die Studie „Safe Sport“ der Deutschen Sporthochschule Köln 2016 die breite Aufmerksamkeit auf das Thema lenkte, spielten Prävention und Kindeswohl im Dachverband des hessischen Sports deshalb eine entscheidende Rolle. Sensibilisieren, Mindeststandards umsetzen, Bedingungen schaffen, die potenziellen Täter*innen jegliche Art von Missbrauch möglichst unmöglich machen: Das sind bis heute die Ziele.  

DOSB-Stufenmodell macht Vorgaben
Für lsb h und SJH war es deshalb selbstverständlich, die 2018 im Stufenmodell der Deutschen Sportjugend (dsj) festgelegten Mindeststandards der Prävention und Intervention umzusetzen. Gleiches gilt für das Nachfolge-Stufenmodell des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Dessen schrittweise Umsetzung ist seit dem 01.01.2022 Fördervoraussetzung für die Weiterleitung von öffentlichen Mitteln und die Weiterleitung von Eigenmitteln durch den DOSB. Würden lsb h und SJH die Anforderungen nicht erfüllen, wäre ihr Zugang zu Fördermitteln damit abgeschnitten. Damit das nicht so kommt, vor allem aber aus Überzeugung, werden bis Ende 2024 deshalb alle neun Stufen umgesetzt. „2022 haben wir das Thema beispielsweise schon in der Satzung verankert und Ansprechpersonen für das Thema benannt. 2023 werden wir nun drei Schritte angehen, die zum Teil direkte Auswirkungen auf unsere Mitgliedsorganisationen haben“, so Schikora.  

Neue Vorgaben für Lizenzinhaber*innen
Einer der Punkte, das wissen Schikora und ihre lsb h-Kollegin Maxi Behrend, die für juristische Fragen zuständig ist, wird bei dem einen oder der anderen Vereinsverantwortlichen erst mal für Aufstöhnen sorgen:  Der Stufenplan sieht vor, dass alle, die ab Oktober eine Jugendsportlizenz erwerben oder verlängern wollen (z.B. ÜL C Kinder/Jugendliche), künftig ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen. Dieses, erklärt Behrendt, ähnelt einem polizeilichen Führungszeugnis, enthalte aber auch geringfügige Verurteilungen, Sexualstraftaten und Verurteilungen, die wegen Fristablaufs nicht mehr im „normalen“ Führungszeugnis aufgeführt sind. Dadurch soll ausgeschlossen werden, dass bereits rechtskräftig verurteilte Personen Aufgaben im kinder- und jugendnahen Bereich übernehmen. 
Für viele Vereine dürfte das Vorgehen nicht ganz neu sein. „Viele Landkreise haben diesen Schritt bereits seit längerem zur Voraussetzung für ihre Jugendförderung gemacht“, erklärt Behrendt. Auch viele Vereine, ergänzt Schikora, hätten das Vorgehen bereits selbstständig für ihre hauptberuflichen und ehrenamtlichen Mitarbeitenden eingeführt. 
„Es ist uns wichtig, dass dieser Schritt nicht als Unterstellung eines Pauschalverdachts gesehen wird. Es geht darum, Risiken zu minimieren. Prävention soll zur gelebten Normalität werden – und gehört ja schon heute zum Selbstverständnis vieler Vereine“, so die Referentinnen. Gleichzeitig verstehen sie, dass die Vorgabe eine weitere bürokratische Hürde darstelle, die nicht nur den Lizenzinhaber*innen bzw. -anwärter 
*innen, sondern auch ihren Vereinen Arbeit macht.  

Und so funktioniert‘s 
Schließlich ist vorgesehen, dass das erweiterte Führungszeugnis dem Verein vorgelegt werden muss, in dem die jeweilige Person tätig ist. Konkret, erklärt Behrendt am Beispiel Lizenzerwerb, funktioniert das so: „Person A entscheidet sich für eine Übungsleiter-Ausbildung im Bereich Kinder/Jugendliche. Dafür beantragt sie bei der für sie zuständigen Meldebehörde ein erweitertes Führungszeugnis, was für ehrenamtlich Tätige kostenlos ist. Das erweiterte Führungszeugnis legt A dann ihrem Verein vor, wo im besten Fall zwei Personen vertraulich prüfen, ob das Zeugnis aktuell ist – und vor allem, ob es problematische Einträge enthält. Ist das nicht der Fall, bescheinigt der Verein in seinem Befürwortungsschreiben, das jeder Anmeldung beigefügt werden muss, dass er das erweiterte Führungszeugnis eingesehen hat. Das Dokument selbst verbleibt immer bei der Person, auf die es sich bezieht.“ 
Alle Vereine, Sportkreise und Verbände werden auch nochmal in einem Schreiben über die neuen Anforderungen informiert. Außerdem stellt die Sportjugend über ihre Webseite entsprechende Vorlagen und Informationen zur Verfügung. Wichtig ist in diesem Zusammenhang noch, dass Personen, die bereits für eine nach September beginnende Sportjugend-Ausbildung angemeldet sind, die entsprechende Bestätigung ihres Vereins noch nachreichen müssen. Auch bei Lizenzverlängerungen ist dies ab Oktober der Fall.  

Verbandsmitarbeitende qualifizieren 
Der zweite Schritt des Stufenmodells, der 2023 abgeschlossen werden soll, ist die Qualifizierung des eigenen Verbandspersonals: Nachdem schon regelmäßig Mitarbeitende aus dem Kinder- und Jugendnahen Kontext geschult werden, sollen nun alle Mitarbeitenden des Landessportbundes Hessen sowie der Sportjugend Hessen zum Thema Kindeswohl und Verhaltenskodex qualifiziert werden – „unabhängig davon, ob sie mit Kindern und Jugendlichen arbeiten“, wie Schikora es ausdrückt.
Es gehe dabei nicht nur darum, mit gutem Beispiel voranzugehen. „Wir wollen auch sensibilisieren und sicherstellen, dass alle haupt- und ehrenamtlichen Akteure des Verbandes das Wohl von Kindern und Jugendlichen im Blick haben“, so Schikora. Je mehr Personen sich jemals kritisch mit dem Thema auseinandergesetzt haben, desto wahrscheinlicher sei es, dass Gewalt wahrgenommen, im besten Fall aber vorgebeugt werde: ob im Privaten, beim Arbeiten oder im Verein. „Gewaltmissbrauch ist ja kein Problem des Sports. Es ist ein Problem der Gesellschaft, das auch vor dem Sport nicht Halt macht. Dem wollen wir etwas entgegensetzen.“ 

Verhaltenskodex wird angepasst
Darum soll nun auch der Verhaltenskodex noch bekannter gemacht werden: Laut dem Stufenmodell muss er künftig regelmäßig von allen hauptberuflich, nebenberuflich oder ehrenamtlich tätigen Personen im Sport unterzeichnet werden. „Künftig wird das bei jeder Lizenzverlängerung nötig sein. So werden die enthaltenen Regeln immer wieder ins Gedächtnis gerufen“, sagt Schikora. Schließlich ist auch der Kodex selbst immer wieder überarbeitet und erweitert worden. „Auch jetzt werden wir ihn inhaltlich nochmal reflektieren.“
Das DOSB-Stufenmodell ist mit diesen drei Schritten ebenfalls noch nicht am Ende. 2024 wird sich der Verband noch dem Thema Beschwerdemanagement, mit der Risikoanalyse in allen Geschäftsbereichen sowie der Frage beschäftige, ob bzw. auf welcher rechtlichen Grundlage Lizenzen entzogen werden können, wenn ein Missbrauch nachgewiesen ist. 

Isabell Boger 

 
 
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